Laudatio 1 Laudatio auf Prof. Dr. h.c. Hans Peter Haller anlässlich der Verleihung des Dr. h.c. am 16.5.2003 in der Hochschule für Musik Karlsruhe

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Hans Peter,


würde ein Musikhistoriker in ein paar hundert Jahren einen Rückblick auf die Besonderheiten der Musikgeschichte der sogenannten westlichen Welt schreiben, so wäre ein zentrales Thema dieser so dynamischen Geschichte darin sicher die enge und wechselseitige Verbindung zwischen der technologischen Entwicklung einerseits und der ästhetischen und kompositorischen Entwicklung andererseits. Stichworte dazu wären zum Beispiel die Entwicklung des Eisengusses und der Stahlsaite als Voraussetzungen für klangstärkere Klaviere und Flügel, oder die Verbesserung der Feinwerktechnik bei der Mechanik der Blasinstrumente. Im 20. Jahrhundert würde die historische Darstellung beschreiben, wie von Seiten der Komponisten immer drängender die Forderung nach Öffnung aller Möglichkeiten zur uneingeschränkten Gestaltung des musikalischen Materials erhoben wird - man denke an Busonis „Entwurf einer neuen Ästhetik" oder an Edgar Varése, der von einer „Maschine träumt, die mir die Möglichkeit gibt, meine gedachten Klangvorstellungen unmittelbar in reale Klänge umzusetzen" - und wie die technologische bzw. instrumenten-technische Entwicklung diesem Ziel immer näher kommt, und zwar über die Verwendung der neuartigen Möglichkeiten der Elektrik, Elektroakustik und Elektronik.
Ab der Mitte des 20. Jahrhundert nimmt diese Entwicklung zwei spezifische Richtungen, zum einen zur sogenannten Computermusik hin - also der Nutzung zunächst analoger, dann digitaler Geräte als Universalinstrumente zur Komposition und Klangsynthese - , und zum anderen zur sogenannten Live-Elektronik oder, wie sie zunächst hieß, zur elektronischen Klangumformung, bei der elektronische Instrumente einen vokalen oder instrumentalen Klang während der Aufführung verändern und über Lautsprecher dem Originalklang beimischen.
Unser Musikhistoriker käme nicht umhin, an dieser Stelle den Namen unseres heutigen Ehrengastes Hans Peter Haller als Pionier und einflußreichstem Gestalter dieser Musikrichtung zu nennen, untrennbar verbunden mit der Institution des Experimentalstudios der Heinrich-Strobel-Stiftung, die bis heute quasi als Synonym für die Live-Elektronische Musik weltweit steht. Natürlich waren auch viele andere maßgeblich am Zustandekommen dieser Entwicklung beteiligt - ich freue mich, Herrn Dr. Tomek hier zu sehen, der als der geistige Vater des Experimentalsstudios gelten darf, war es doch seine Idee, die neugegründete Heinrich-Strobel-Stiftung in diese Richtung zu lenken und Hans Peter Haller als ihren ersten Leiter zu berufen.
Daß Idee und Berufung von Hans Peter Haller eine hervorragende Wahl waren, zeigt ein Blick auf die Liste der Werke, die in den Jahren von 1971 bis 1989 - von Gründung des Studios bis zur Pensionierung Hallers - entstanden: Da finden sich Namen wie Karlheinz Stockhausen, Cristobal Halffter, Pierre Boulez, Vinko Globokar, John Cage, Brian Ferneyhough, Wolfgang Fortner, Klaus Huber, Emanuel Nunes, und viele andere, und natürlich vor allem: Luigi Nono, der von 1980 an fast alle seine Werke mit dem Experimentalstudio realisierte.
Frappierend an dieser Liste ist, dass von den gut 70 größtenteils großformatigen Werken etwa die Hälfte zu „Repertoire-Werken" geworden sind - also Werke, die immer wieder weltweit aufgeführt werden und zum festen Bestand des Repertoires der Neuen Musik geworden sind. Das ist eine Erfolgsbilanz, die einzigartig ist - es gibt auf der ganzen Welt kein Institut, nicht einmal das IRCAM, das eine ähnliche Erfolgsbilanz vorweisen könnte. Da liegt natürlich die Frage nahe, worauf dieser Erfolg zurückzuführen ist - und damit sind wir wieder bei Hans Peter Haller, der erst die geniale Idee eines auf Live-Elektronik spezialisierten Instituts zu diesem Erfolg geführt hat.

Eine glückliche Kombination von verschiedenen persönlichen Eigenschaften und Zusammentreffen günstiger Umstände, so könnte man vereinfacht sagen. Es ist selten, dass in einer Person so viele Eigenschaften sozusagen im idealen Mix zusammentreffen wie in Hans Peter Haller: Liebe zur Musik und professionelle Beschäftigung mit Musik, grenzenlose technische Neugier und Begabung, Freude am Vermitteln und Anregen, die Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten und Analysieren. Das alles eingebunden in einem offenen und konzilianten Charakter, der es den verschiedenartigsten Komponisten ermöglichte, in Hans Peter Haller einen gleichwertigen Partner und sehr oft auch einen guten Freund zu finden.

Hans Peter Haller ist wohl zuallererst immer Musiker und Komponist. Neben dem Kirchenmusikstudium studierte er bei Fortner und Leibowitz Komposition. Seine Werke wurden unter anderem bei Festivals in Genf, Warschau, Donaueschingen, Bremen und Basel aufgeführt. Dieses a priori vorhandene Denken in kompositorischen Kategorien ermöglichte es ihm, auf die Konzeptionen der Gastkomponisten des Studios nicht nur einzugehen, sondern sie sich gewissermaßen anzueignen und selbst weiterzuentwickeln. Selbst ein Komponist wie Stockhausen, der für seine minutiös ausgearbeiteten Partituren bekannt ist, ließ sich bei der Realisierung von Mantra durch die Vorschläge Hallers beeinflussen und änderte oder erweiterte seine Partitur immer wieder entsprechend. Schon bei diesem ersten großen Werk zeichnete sich die Arbeitsweise ab, für die das Freiburger Studio und das „Arbeiten-dürfen" mit Hans Peter Haller berühmt wurde: Die Werke entstanden nur zum kleinsten Teil am Schreibtisch, sondern vielmehr im stetigen Wechsel zwischen praktischer, klingender Studioarbeit, Klanganalysen und Klangexperimenten, dem Gespräch und Meinungsaustausch mit Haller und dem schöpferischen Nachdenken bei Spaziergängen im Hochschwarzwald.

Bei diesen Klanganalysen und -experimenten zeigte sich dann auch die wissenschaftliche Begabung Hans Peter Hallers, der seinen Gästen und Partnern nicht nur die klanglichen Möglichkeiten des Studios als fertige Resultate anbot, sondern stets auch um die Erklärung der vielen akustischen Phänomene bemüht war - und auch darum, die akustisch-physikalische Erklärung in eine für Musiker verständliche Sprache zu übersetzen, das für die Musik und Komposition wesentliche daran zu formulieren.
Seine zahlreichen Vorträge und Artikel haben immer wieder unter Beweis gestellt, dass er es vermochte, schwierige akustisch und technische Zusammenhänge so zu präsentieren, dass dem Zuhörer der Einblick und das „Einhören" leichtfiel.
Seine Arbeiten zur Klangraumgestaltung und zur Klangumformung, z. B. zur Verwendung des Ringmodulators und des Vocoders, gehören zur wissenschaftlichen Grundlagenforschung der musikalischen und Elektro-Akustik. Auch seine Arbeit als Autor und Koautor zusammen mit Hans Oesch am Neuen Handbuch der Musikwissenschaft, seine Lehrtätigkeit als Professor an den Universitäten Basel und Freiburg sowie der Musikhochschule Freiburg sind hier zu erwähnen.

Ich erinnere mich gerne an die Zeit, als Herr Haller im Zusammenhang mit der Konzeption des Karlsruher ZKM nicht nur in einer der drei Hauptkommissionen mitarbeitete, sondern auch in mehreren Veranstaltungen exemplarische Öffentlichkeitsarbeit - als Werbung für das zukünftige ZKM - leistete. Umlagert von einer viel zu großen Zahl von Studenten der Universität und der Musikhochschule, gestaltete er unter anderem ein einwöchiges Seminar im alten Wasserwerk in Durlach, bei dem seine pädagogische Fähigkeit, selbst auf die scheinbar banalste Frage noch positiv einzugehen und einen interessanten Aspekt aus ihr herauszuzaubern, ebenso zu bewundern war wie die Begabung, das Technische mit dem „wie-gestalte-ich-Musik" zu verbinden.

Das Interesse an der Technik, das Tüftelgenie Haller war es auch, was ihn bereits vor der Gründung des Experimentalstudios für dessen Leitung prädestiniert hatte. Seit den 50er Jahren hatte er immer wieder Schaltungen gebaut oder umgebaut, mit denen er für den Südwestfunk Hörspiel- und Filmmusiken komponierte und Versuche anstellte, um die seit den 50er Jahren sich entwickelnden Versuche vieler Komponisten zu realisieren, die elektronischen Klangmöglichkeiten nicht nur per Tonband, sondern auch im Live-Einsatz zu verwenden.
Als Stockhausen den Kompositionsauftrag für Mantra erhielt, scheiterten nacheinander zwei zunächst beauftragte Ingenieurbüros daran, die von Stockhausen gewünschten Ringmodulatoren zu bauen. Erst als Hans Peter Haller, unterstützt von seinem Flieger-Freund Peter Lawo, diese Aufgabe übernahm, wurde eine musikalisch funktionierende Lösung gefunden. Zusammen mit Peter Lawo entstand auch das berühmte „Halaphon" - der Name eine Kunstbildung aus Haller-Lawo-Phon -, das bis heute einzigartige, inzwischen mehrfach weiterentwickelte universale Raumklang-Steuergerät, mit dem es erstmals möglich war, mehreren Klangquellen verschiedene Bewegungen im Raum zuzuweisen.
Welche exotische Rolle wohl Hans Peter Haller in den Augen seiner Rundfunk-Kollegen einnahm, zeigt die amüsante Benennung mancher seiner Geräte, z. B. des „HTK 4 „ - Hallers Toller Kiste Vierkanalig", in der schon umfangreiche Funktionen der Live-Elektronik zusammengefasst waren.
Wenn man die Geräte des Experimentalstudios in der Zeit zwischen 1980 und 1990 ansieht, stellt man fest, dass die meisten davon Einzelanfertigungen sind, entstanden in der direkten Arbeit mit Komponisten und aus dieser Arbeit heraus, oft speziell angefertigt oder modifiziert für bestimmte Werke. Viele, wenn nicht alle dieser Geräte und Schaltungen finden sich heute wieder in Geräten und Programmen, die von der Musikindustrie kommerziell vermarktet werden.
Insofern ist es berechtigt, das Wirken von Hans Peter Haller sogar in dreifacher Hinsicht als bahnbrechende Pionierarbeit zu bezeichnen:
- Das ganze Genre der Live-Elektronik ist untrennbar mit seinem Namen verknüpft, und viele Werke, die man zu den Meisterwerken der Musik zählen muß, wären ohne ihn nicht oder ganz anders entstanden;
- unser akustisches Wissen über die elektronische Klangumformung hat durch ihn entscheidende Bereicherungen und auch Weichenstellungen erhalten,
- und nicht zuletzt ist die Entwicklung der Musikinstrumente - ich meine hier natürlich elektronische Musikinstrumente - von ihm entscheidend beeinflusst worden, damit aber auch gleichzeitig ein ästhetisch anspruchsvolles Umgehen mit den Möglichkeiten der Live-Elektronik geprägt worden.


Wer Hans Peter Haller kennt, weiß, dass ihm zwei Eigenschaften völlig fehlen: nämlich Arroganz und Selbstüberschätzung, die man leider oft bei Menschen antrifft, die eine solch große Erfolgsbilanz vorweisen können. Im Gegenteil hat Hans Peter Haller sich immer ein umkompliziertes, offenes und entgegenkommendes Naturell bewahrt; unbescheidene Forderungen stellte er nur da, wo er berechtigterweise die Sache gefährdet sah, um die es ihm ging, nämlich die Qualität der von ihm und mit ihm und seinen Mitarbeitern aufgeführten Musik.

Ich bin persönlich sehr dankbar, dass ich Hans Peter Haller kennenlernen konnte und von ihm vieles lernen durfte und dies auch hoffentlich weiter tun darf.
Auch als Lehrer dieser Hochschule empfinde ich es als Auszeichnung für unsere Hochschule, dass es gerade wir sein dürfen, die Hans Peter Haller heute diese Würdigung erweisen. Die Karlsruher Musikhochschule ist bestrebt, ihr Profil als zukunftsorientierte Musikhochschule zu verstärken, wozu neben dem einzigartigen Institut LernRadio auch der Schwerpunkt Neue Musik mit dem Institut für neue Musik und Medien gehört. Schon in der Kunstkonzeption des Landes Baden-Württemberg von 1988 wird zu diesem Schwerpunkt explizit der Bereich „Computermusik" genannt (wobei der Begriff vielleicht nicht ganz glücklich gewählt ist), und so gesehen, sind wir - hoffentlich - auch genau die richtige Institution, um Hans Peter Haller heute den Titel eines Doktors honoris causa zu verleihen.
Ich möchte mich bei Dir bedanken, lieber Hans Peter, auch dafür, dass Du uns Deine Unterstützung bei der Durchführung unseres „Nono-Projektes" zugesagt hast, bei dem wir in den nächsten Semestern möglichst viele Werke Luigi Nonos unter Deiner Betreuung einstudieren wollen, und ich freue mich auf die Arbeit daran.

Damit ist zuguterletzt nochmals der Name gefallen, mit dem die Arbeit von Hans Peter Haller und dem Experimentalstudio am stärksten und nachhaltigsten verknüpft ist. Ich glaube, es ist hier unnötig, zu diesem Thema weiteres zu sagen - Luigi Nono und seine mit Hans Peter Haller und dem Experimentalstudio entstandenen Werke sind inzwischen zum Kultbegriff geworden, und jedes Wort hierzu ist in diesem Kreis überflüssig. Aber es war uns Grund genug, zum Abschluss dieser kleinen Feier ein Werk von Luigi Nono aufzuführen, das „Post Prae Ludium per Donau" für Tuba und Live-Elektronik - auch hierbei hat uns Hans Peter Haller geholfen, wir hätten es ohne ihn nicht so qualifiziert aufführen können. Den Tubapart spielt unser Kollege Gerard Buquet.

Lieber Hans Peter: Herzlichen Dank, herzlichen Glückwunsch, viel, viel weiteren Erfolg und Glück bei Deinen Hobbies Musik und Technik, mit Deiner Frau und Deiner Familie!



Laudatio Dr. h.c. Hans Peter Haller - 16.5.2003
Prof. Dr. Thomas a. Troge